Das System Milch

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Verhältnis der Menschen zur Milch stark verändert. Vom ehemals wertvollen Lebensmittel wurde sie zu einem Rohstoff, der immer und billig verfügbar sein soll. Von multinationalen Konzernen industriell verarbeitet und weltweit verkauft, Objekt eines knallharten Geschäfts. „Wachstum um jeden Preis“ lautet die Devise. Mit anderen Worten: Die Milch ist in den Strukturen des Kapitalismus angekommen.
Wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Tiere, die Umwelt, die Politik und uns selbst aus? Dieser Frage geht Regisseur Andreas Pichler in seiner 2017 erschienen Dokumentation nach.

Auf der Suche nach Antworten kommen unterschiedlichste Akteur*innen zu Wort:
Ein dänischer Unternehmer, der 750 Kühe optimiert (!), um so kostengünstig wie möglich gute Milch zu produzieren. Ein deutscher kleinbäuerlicher Familienbetrieb, der, gefangen in diversen Abhängigkeiten, ums Überleben kämpft und an der Scheiße seiner Kühe mehr verdient als an deren Milch. Ein Südtiroler Biobauer, der seine Tiere ausgiebig weiden lässt, die Milch selbst zu Käse verarbeitet und im Umkreis von maximal 200 km vermarktet – denn auch kurze Transportwege gehören zu ökologisch sinnvollem Wirtschaften. Vertreter großer europäischer Molkereien, die täglich Millionen Liter Milch standardisieren (!) und solch interessante Produkte wie Milchpulver für Kinder sowie für Senioren ab 40, ab 50 und ab 60 entwickelt haben. Ausstellerinnen auf dem Weltmolkereikongress, die uns mit ihren Ernährungsempfehlungen derartige Produkte schmackhaft machen wollen und zu zwei bis drei Portionen Milch pro Tag raten. Ein Wissenschaftler, der diese Empfehlungen in Frage stellt. Ein EU-Parlamentarier, der das politische Kalkül hinter all diesen Absurditäten offen legt. Der Präsident des senegalesischen Molkereiverbandes, der deutlich macht, wie billige Milchpulverimporte aus Europa die afrikanischen Bauern unter Druck setzen.

Der Film beleuchtet die vielfältigen Aspekte der heutigen Milcherzeugung und -verarbeitung. Er zeigt zweckoptimierte Kühe, die mit zum Platzen gefüllten Eutern einen grotesken Catwalk absolvieren müssen; randvolle Güllebecken; Regenwald, der für die artfremde Ernährung von Rindern gerodet wird; ganze Völker, die quasi zum Milchkonsum gezwungen werden – die absonderlichen Auswüchse, um in einem gesättigten Markt immer mehr zu verkaufen. Aber auch Beispiele für einen respektvollen Umgang mit Mensch und Tier. Als halbwegs empathische*r Zuschauer*in schwankt man zwischen Staunen, Fassungslosigkeit, Wut und Hoffnung. Einmal mehr bestätigt dieser Film die zentrale Erkenntnis des Weltagrarberichts: Weiter wie bisher ist keine Option.
Unbedingt anschauen!

Für Kurzentschlossene noch bis zum 19. Februar in der arte-Mediathek, ansonsten als DVD erhältlich.

Werbung

10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?

Vor vier Jahren (2012) rückte der Filmemacher Valentin Thurn mit der Dokumentation „Taste the Waste“ das Thema Lebensmittelverschwendung in den Fokus der öffentlichen Debatte. Vor dem Hintergrund wachsender Weltbevölkerung und der Frage, ob bzw. wie immer mehr Menschen ernährt werden können, ein wichtiger Aspekt.

Drei Jahre später (Ende 2015) erschien Thurns neuer Film „10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?“, der die zukünftige Ernährung in den Mittelpunkt stellt.
Bis 2050 werden 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Schon heute hungern ca. eine Milliarde Menschen und landwirtschaftlich nutzbare Flächen scheinen knapp zu werden. Der Autor begibt sich auf eine Reise rund um die Welt um herauszufinden, ob es auch in gut 30 Jahren noch genug Nahrung für alle geben wird. Er besucht Personen, Initiativen und Unternehmen entlang der gesamten Nahrungsmittelproduktion. Akteure mit den unterschiedlichsten Lösungsansätzen kommen zu Wort. Der Vorstandschef von Bayer, der die Lösung der Ernährungsfrage in Gentechnik und Hybridsaatgut sieht, ebenso wie indische Bauern, die auf traditionelles, samenfestes Saatgut setzen. Sowohl der Forschungsleiter einer Düngemittelfabrik, der Mineral- und Kunstdünger für unverzichtbar hält, als auch der Biobauer, der genau darauf verzichtet und erklärt, wie sein Boden fruchtbar bleibt. Sowohl der indische Hühnerfabrikant, der die westliche Massentierhaltung übernommen hat, als auch der Betreiber der Herrmannsdorfer Landwerkstätten, der das Tierwohl immer weiter zu verbessern sucht. Schnell wird deutlich, dass die Sache nicht so einfach ist.

Auf der weiteren Suche stößt Thurn auf vielerlei Modelle. Da sind zum einen neue technische Lösungen: Pflanzenfabriken, die in stark automatisierten und sterilen Hochhäusern Gemüse produzieren, eine Versuchsanlage zur Züchtung genmanipulierter Lachse und Forschungen zur künstlichen Herstellung von Fleisch. Einen komplett anderen Ansatz verfolgen lokale und regionale Initiativen, die Gegenmodelle zur hoch technisierten und globalisierten Landwirtschaft leben, z. B. das Transition Town Network, eine Dorfgemeinschaft in Afrika und ein Urban Farming Projekt in den USA.

Der direkte Vergleich all dieser, zum Teil gegensätzlicher Entwürfe zeigt eindrücklich: Es nützt nichts, immer mehr Nahrung zu produzieren, wenn die Menschen keinen Zugang zu ihr haben und wenn die Art der Landwirtschaft die natürlichen Ressourcen wie Boden und Wasser zerstört. Die Lösung liegt im Kleinen. Nur kleinteilige, regionale Landwirtschaft ist nachhaltig und sichert den Zugang zu Nahrung für alle.

Der Film macht Mut und zeigt viele Möglichkeiten für das eigene Konsumverhalten. „Wer danach nicht sofort zum lokalen Biobauern rennt, dem ist wohl wirklich nicht zu helfen…“ Diese Pressestimme zum Film trifft den Nagel auf den Kopf.

How to cook your life

Neulich habe ich mir zum wiederholten Mal den Film
„HOW TO COOK YOUR LIFE – Wie man sein Leben kocht“
angesehen, was mich auf die Idee gebracht hat, ihn hier vorzustellen.

Ein Dokumentarfilm von Doris Dörrie über das Kochen, das Essen und das Leben, erschienen 2007. Nun mag es seltsam erscheinen, dass ich einen neun Jahre alten Film empfehle, das ist ja eher bei Neuerscheinungen üblich. Der Grund: Er macht nicht nur Lust aufs Kochen, sondern regt nebenher zum Nachdenken an, ob das eigene Leben (noch) auf der richtigen Flamme kocht. Was man von Zeit zu Zeit neu überprüfen sollte. Deshalb lohnt es sich, den Film immer mal wieder anzuschauen. Immer von Neuem inspirierend.

Darum geht’s:

Der Zen-Priester und Koch Edward Espe Brown aus Kalifornien hat im Alter von zehn Jahren das köstliche selbst gebackene Brot seiner Tante Alice kennengelernt. Bereits damals hat er beschlossen, Brot backen zu lernen und dieses Wissen an andere weiterzugeben. Seitdem sind etliche Jahre vergangen und der Zehnjährige hat sein Vorhaben in die Tat umgesetzt.

Doris Dörrie hat Edward Brown in Küchen und zu Kursen begleitet. Mit viel Humor und einer guten Portion Lebensweisheit wirft er einen philosophischen Blick auf die Essenszubereitung. In Zeiten von Fertiggerichten und Mikrowelle zeigt uns Brown, wie sinnlich der bewusste Umgang mit Lebensmitteln – sie zu spüren, zu riechen und zu schmecken – sein kann. Und analysiert ganz nebenbei das Leben. Denn Kochen ist nicht einfach nur Kochen, in der Küche entfaltet sich das Leben in all seinen Facetten: Achtsamkeit walten lassen. Die Hände gebrauchen. Zuhören. Wut raus lassen und sie in positive Energie verwandeln. Akzeptieren, dass manchmal etwas misslingt… Und nach vielen gekochten Jahren spiegeln die Lebenslinien in unseren Gesichtern die Patina eines lange genutzten Teekessels. Oder, wie es eine ehemalige Mitköchin Browns aus dem Tassajara Zen Mountain Center auf den Punkt bringt: „We are cooking the food but in the practice the food is cooking us.“